Eine Reliquie für St. Dionysius

Aus dem Nachlass eines Münsteraners stammt der Armknochen, der dem Heiligen Dionysius zugeschrieben wird und der vermutlich bei einem Bildersturm aus der Rheiner Stadtkirche verschwunden ist. (Foto: Sven Rapreger)

Im Büro des Generalvikars Norbert Köster (l.) erfolgte die Übergabe der Reliquie an eine Abordnung der Pfarrei St. Dionysius Rheine mit DEchant Thomas Lemanski (l.) an der Spitze.

Ein Körperteil des heiligen Dionysius hat seinen Weg zurück in die nach ihm benannte Rheiner Stadtkirche gefunden. Wenn am morgigen Sonntag zum Patronatsfest und zur Wiedereröffnung des Gotteshauses nach mehrmonatiger Renovierung um 11:15 Uhr ein Jubilate-Gottesdienst gefeiert wird, können die Gläubigen deutlich sichtbar am Altar angebracht einen Armknochen des ersten Bischofs von Paris sehen, der in der katholischen Tradition seit dem dritten Jahrhundert als Heiliger verehrt wird.

„Die Reliquie, von der keiner so richtig weiß, wann sie aus der Dionysiuskirche verschwunden ist, hat ihren Platz wiedergefunden“, sagt Dechant Thomas Lemanski, der leitende Pfarrer. Ihm war der in einen wertvollen Stoff gehüllte Knochen aus einem Nachlass eines verstorbenen Münsteraners angeboten worden. „Weil die Reliquie zusammen mit der Original-Weiheurkunde des Altars der Bentlager Gertrudenkapelle und zwei ebenfalls von dort stammenden Reliqienaufsätzen aufbewahrt worden war, lag der Schluss nahe, dass die Gegenstände aus Rheine stammten und offensichtlich im Rahmen eines Bildersturms oder eines ähnlichen Geschehnisses abhanden gekommen waren“, sagt Lemanski, der mit einigen anderen Vertretern der Pfarrei die Reliquie und die anderen religiösen Gegenstände im Büro des Generalvikars Norbert Köster in Münster entgegengenommen hatte.


Über den Weg, den der irdische Überrest des Bischofs Dionysius von Paris, der um das Jahr 250 herum von Papst Fabianus mit sechs anderen Bischöfen von Rom aus als Missionar nach Gallien entsandt worden war, einst nach Rheine nahm, kann Lemanski nur Mutmaßungen anstellen. Nach der vom Geschichtsschreiber Gregor von Tours überlieferten Legende war Dionysius gemeinsam mit seinen beiden Begleitern Rustikus und Eleutherius vom römischen Gouverneur verhaftet und zum Tode verurteilt worden. Am Montmartre soll er enthauptet worden sein, dort aber seinen abgeschlagenen Kopf in die Hände genommen, ihn in einer nahegelegenen Quelle gewaschen haben und noch sechs Kilometer nach Norden gegangen sein bis zu der Stelle, wo er begraben werden wollte. An diesem Platz baute dann der fränkische König Dagobert I. im Jahr 626 die dem Heiligen geweihte Abtei und Basilika St. Denis, die später den französischen Königen als Grablege diente.

„Im Mittelalter hat es einen regen Handel von Reliquien gegeben, von denen sich die Gläubigen eine heilbringende Wirkung versprachen“, weiß Dechant Lemanski. So hat es wohl eine so genannte „Translatio“ – einen Transport der heiligen Knochen – von Paris nach Halberstadt gegeben. „Und weil Halberstadt im Einflussbereich der Äbtissin von Herford lag, könnte der Armknochen nach Rheine gelangt sein, wo die Kirche ebenfalls dem heiligen Dionysius geweiht war“, entwickelt Lemanski eine Theorie.

Der jetzt am Altar von St. Dionysius in einem würdigen Behältnis angebrachten Reliquie ist auch eine gewisse Doppeldeutigkeit in Bezug auf den Heiligen ablesbar. „Es hat in der Kirchengeschichte nämlich mindestens zwei Heilige mit dem Namen Dionysius gegeben“, sagt Lemanski. Neben dem Bischof von Paris verehrt die katholische, aber insbesondere auch die griechisch-orthodoxe Kirche einen Dionysius mit dem Beinamen „Areopagita“, der im ersten Jahrhundert nach Christus vom Apostel Paulus in Athen bekehrt worden sein soll und später als der erste Bischof von Athen wirkte.

 

In der Überlieferung des Mittelalters sind diese beiden Personen miteinander gleichgesetzt worden, wozu die Dionysius-Vita des Abtes Hilduin von Saint-Denis entscheidend beigetragen hat. „Unser Knochen ist mit einem kleinen Schild versehen, auf dem auf den Areopagiten verwiesen wird“, sagt Lemanski. Weil man aber davon ausgehen kann, dass aus der Zeit des frühen Christentums keine Reliquien mehr vorhanden seien, könne der Knochen – so er denn echt ist – aber nur vom Bischof von Paris stammen, meint Lemanski.

Abgesehen von der Frage nach der historischen Authentizität ist dem Pfarrer von St. Dionysius bei der Reliquie aber wichtig, ihre Bedeutung in heutiger Zeit hervorzuheben. „Jeder Mensch hat zu Hause irgendwelche Reliquien – Dinge, die ihm heilig sind und ihm etwas bedeuten“, sagt er. Ähnlich seien die Menschen in der Spätantike und im Mittelalter vorgegangen, indem sie die irdischen Überreste von Menschen, die ein vorbildliches Leben geführt hätten, in Ehren gehalten und sich von ihnen eine Heilswirkung versprochen hätten.

Mit der jetzigen, für jedermann sichtbaren Anbringung der Reliquie des heiligen Dionysius am Altar der Stadtkirche orientiere sich die Rheiner Pfarrei an den Vorgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils, wonach die heiligen Knochen nicht mehr irgendwo eingemauert werden, sondern jedermann zugänglich gemacht werden sollten.

 

Patronatsfest St. Dionysius

 

Die Kirmes in Rheine ist traditionell zeitlich immer in unmittelbarer Nähe zum Namenstag des heiligen Dionysius, der am 9. Oktober gefeiert wird. Seit einigen Jahren pflegt die Pfarrei die Tradition, das Sonntagshochamt um 11:15 Uhr in der Stadtkirche besonders festlich als Patronatsfest zu begehen. In diesem Jahr kommt als Besonderheit hinzu, dass in der Stadtkirche erstmals seit Pfingsten, als das Gotteshaus für eine mehrmonatige Renovierung geschlossen wurde, wieder eine heilige Messe gefeiert wird. Zelebrant wird Dechant Thomas Lemanski sein, der in Begleitung der Fahnen- und Bannerabordnungen der kirchlichen Vereine und Verbände zunächst drei Mal an die Eingangstür klopfen wird, um Einlass in das Gotteshaus zu begehren. Im Taufbecken wird dann das mit dem Salz aus der Bentlager Saline Gottesgabe versetzte Weihwasser eingefüllt, mit dem dann unter anderem die Kerze an der Muttergottes gesegnet wird. „Als kleines Dankeschön dafür, dass während der Umbauarbeiten niemandem etwas passiert ist“, erläutert Lemanski. Nach dem Festgottesdienst lädt dann die Messdienergemeinschaft der „JoDis“ die Gläubigen ein, auf dem Kirchplatz mit Bratwürstchen noch Zeit miteinander zu verbringen. „Und dann wird Kirmes gefeiert“, sagt Lemanski.

 

Text: Paul Nienhaus, mv-online