Bauforschungen ergeben: Geschichte des Kirchbaus von St. Dionysius muss umgeschrieben werden

Mit Kernbohrungen entnahmen die Bauforscher - hier Tilo Schöfbeck von der LWL-Denkmalpflege - Proben, mit denen sich das exakte Fälldatum der im Mittelalter verwendeten Hölzer für die Dachkonstruktion bestimmen lassen.

Die Baugeschichte der Stadtkirche St. Dionysius muss neu geschrieben werden. Der Bauforscher Michael Huyer, Leiter des Referats Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur beim LWL in Münster, präsentierte am Montagabend im Falkenhof-Museum erste Ergebnisse einer eingehenden bauhistorischen Untersuchung der Dionysiuskirche. Diese wird im Sommer im Katalog zur Ausstellung „Bürgersinn und Seelenheil“ aus Anlass des 500-jährigen Jubiläums der Vollendung der Stadtkirche veröffentlicht.

 

Huyer und sein Kollege Tilo Schöfbeck untersuchten im vergangenen Jahr den aus der Bauzeit im späten Mittelalter stammenden und in seiner Originalsubstanz noch weitgehend erhaltenen Dachstuhl über dem Kirchengewölbe. Und kamen dabei zu einem verblüffenden Ergebnis: „Die These, dass das niedrigere Nordschiff zuerst gebaut worden ist, lässt sich nicht mehr halten“, sagte Huyer. Die Untersuchung der im Dachstuhl verwendeten Hölzer, deren Alter sich mit Methoden der Dendrochronologie auf das Fälljahr genau datieren lässt, hätten eindeutig ergeben, dass der Chor in den 1440er Jahren zuerst errichtet worden sei und anschließend das Langhaus und die beiden Seitenschiffe in zwei Abschnitten errichtet worden seien, denen sich zum Schluss der Bau des Turmes anschloss.

 

Bislang waren Historiker, die sich mit der Geschichte der St. Dionysiuskirche beschäftigt haben, mit Blick auf drei überlieferte Weiheurkunden immer davon ausgegangen, dass 1424 das Nordschiff vollendet und mit der Altarweihe abgeschlossen worden sei. Dem habe sich 1450 der Chor angeschlossen, bevor 1484 das Südschiff vollendet worden sei, dem sich dann bis 1520 der Turmbau angeschlossen habe.

 

Die jetzt vorliegenden bauhistorischen Befunde, deren Methoden früheren Generationen von Geschichtsforschern noch nicht zur Verfügung standen, sprechen eine ganz andere Sprache. Neben der Datierung der Hölzer im Dachgebälk gibt auch die genauere Betrachtung der Fassade in der Nordseite Auskunft über mehrere Bauabschnitte, denn es lassen sich Baunähte feststellen, zudem ist die Gestaltung der Fenster unterschiedlich. „Es zieht sich eine Achse von Norden quer durch die Kirchenschiffe, an der man die Baugrenze festmachen kann“, betonte der promovierte Bauhistoriker.

 

Die Asymmetrie im Aufbau der St. Dionysiuskirche, die frühere Forschergenerationen mit unterschiedlichen Epochen der Fertigstellung erklärt hatten, findet nach den neuesten Erkenntnissen eine ganz andere Begründung: „Man hat offensichtlich von vorherein die zum Markt hin gelegene Südseite der Kirche als Schaufassade geplant und errichtet, während man auf der Nordseite die bescheidenere Ausführung gewählt hat und auch am Material gespart hat“, sagte Huyer.

 

Nach der Vollendung des Chores, bei dessen Datierung die Weiheurkunde von 1450 mit den bauhistorischen Befunden übereinstimmt, haben die Baumeister bis 1471 den östlichen Teil des Langhauses und der Seitenschiffe gebaut, bevor es zu einer Baupause von etwa fünf Jahren gekommen sei. Etwa 1477 sei mit dem zweiten Teil begonnen worden, für den mit dem Bauvertrag mit dem Meister Lubbert Holtiken ein schriftliches Zeugnis von 1480 vorliegt.

 

Was den Bau des Turmes angeht, datieren die dort untersuchten Hölzer im Mauerwerk auf das Jahr 1509. Eine Inschrift in einer der beiden vom Glockengießer Wolter Westerhues hergestellten Glocken datiert aus dem Jahr 1520 – Anlass in diesem Jahr das 500-jährige Kirchenjubiläum zu feiern.

 

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